Führungskräfteentwicklung: Erlerntes erfolgreich in die Praxis umsetzen

Hast du auch schon einmal ein Seminar von einem oder zwei Tagen besucht, das deiner Führungskräfteentwicklung dienen sollte? Lernen ist wichtig – da sind sich auch die Experten einig.

Diese Blogpost kannst du hier auch als Podcast hören und hier als Video sehen.

Wer aufhört, zu lernen, entwickelt sich zurück, denn Stillstand bedeutet Rückschritt.

Hast du dann aber auch die Erfahrung gemacht, dass die tollen Learnings, die du vom Seminar mitgenommen hast, wenig bis gar nicht in der Praxis ankamen? Eigentlich merkwürdig, oder? Du gehst auf das Seminar, bist top-motiviert und kannst es kaum erwarten, das Gelernte in deinen innerlichen Werkzeugkoffer der Führungs- Skills aufzunehmen.

Es vergehen weitere zwei bis drei Wochen und dann bist du an einem Punkt, an dem du dich eventuell noch grob an das gelernte Konzept erinnern kannst, aber du wirst unfähig sein, wirklich alles in deinen Führungsstil umzuwandeln. Mit etwas Glück schaffst du es, ein bis zwei Punkte des gesamten Seminars beizubehalten.

Graph zeigt, dass erlerntes Wissen jeden Tag ein bisschen mehr abnimmt, wenn man es nicht festigt.

Nach fünf Tagen ist das an einem ganzen Tag in einem Workshop erlernte Wissen nur noch zu 10% vorhanden. Wenn man aber konsequent jeden Tag weniger Zeit mit lernen verbringt, aber kontinuierlich, dann verfestigt es sich über die Zeit.

Tatsächlich zeigt eine Studie von McKinsey & Company, dass Erwachsene üblicherweise nur etwa zehn Prozent von Dingen behalten, die sie in einem Klassenraum gehört haben. Alle Schlüsselinhalte in eine große Einheit zu stopfen, mag von der Logik her Sinn ergeben – es ist aber weit entfernt von den Erkenntnissen des Lernens, wie es Erwachsene beherrschen. Das gilt auch für die Führungskräfteentwicklung.

Bei der Führungskräftenentwicklung geht es darum, eben diesen Führungskräften neue Skills mit auf den Weg zu geben, sie Fähigkeiten entwickeln zu lassen, die ihrem Führungsstil guttun und damit die Firma voranbringen. Sie sollen von einem einzelnen Teilchen des Ganzen in eine Position transformiert werden, in der sie anderen Menschen vorangehen können. Als Führungskraft ist dein Erfolg davon abhängig, wie erfolgreich die Teammitglieder sind, die du anführst. Es ist ein kompletter Perspektivwechsel.

Einfach nur zu lernen, was du tun solltest und das Ganze in einem ein oder zwei Tage dauernden Seminar, wird aber nicht wirklich dein Verhalten verändern.

Wie Verhaltensänderungen in unserem Gehirn funktionieren

Verhaltensänderungen passieren nicht einfach so. Unsere Gehirne sind nicht dafür geschaffen, neue Gewohnheiten so schnell anzunehmen. Verhaltensänderungen brauchen also Zeit. Nimm beispielsweise eine neue Art, als Führungskraft zuzu- hören. Künftig möchtest du gerne absichtsvoll und aufmerksam zuhören. Du hast genau das in einem Seminar gehört und möchtest das in die Praxis umsetzen. Um das Ganze als neue Gewohnheit anzunehmen, musst du es wieder und wieder üben. Jedes Mal, wenn du es tust, erschaffen Neuronen in deinem Gehirn neue neuronale Verbindungen. Je öfter du dieses neue Zuhören einübst, desto stärker werden die neuen Leitungen. Mit der Zeit wird es immer einfacher für dich werden, auf diese Weise zuzuhören.

Diese neue neuronale Leitung kann in einer einzigen Sitzung angelegt oder wiederentdeckt werden, aber um genau diesen Pfad zu stärken, musst du sorgfältig üben. Selbstverständlich kannst du ein Grundverständnis von deiner neuen Fähigkeit erwerben, wenn du im Seminar Übungen mit deinen Kollegen durchführst. Aber um deine neue Fähigkeit, in diesem Fall das absichtsvolle und aufmerksame Zuhören, wirklich in dir zu verankern, musst du ausprobieren, es in einer tatsächlichen Situation anzuwenden. Denn erst, wenn du es im echten Leben angewendet hast, wirst du das entsprechende Feedback bekommen, das du benötigst, um festzustellen, wie es funktioniert, dass es funktioniert, um dann weitere Anpassungen vornehmen zu können. Denn erst dann weißt du, wie es sich wirklich anfühlt, auf diese Weise zuzuhören.

Wenn du genau das tust, wirst du leider feststellen, dass nicht alles so funktioniert, wie du es geplant hast.

Du arbeitest mit Menschen. Irgendetwas wird schieflaufen. Denn dein Gegenüber wird sich kaum so verhalten, wie es das Seminar-Drehbuch vorgibt. Jemand hat nicht seinen besten Tag und kommuniziert nicht auf die Weise, die du von ihm erwartet hast. Hinzu kommt, dass auch du nur ein Mensch bist. Da sitzt du also und möchtest auf eine bestimmte Weise zuhören. Dein Gegenüber kommuniziert nicht optimal und triggert damit eine bestimmte übliche Reaktion von dir. Schon bist du aus dem Muster des absichtsvollen und aufmerksamen Zuhörens raus. Es mag sein, dass du relativ schnell wieder drin bist, aber jetzt hast du wirklich etwas gelernt. Du hast den Schritt aus dem Seminar verlassen, in dem dein Kollege so kommuniziert hat, wie du es erwartet hast. Du konntest hier nicht dein Programm abspulen, das am Ende zum Applaus der Seminarteilnehmer geführt hat.

Es ist so, als ob du zum ersten Mal auf einem Fahrrad sitzt. Du wirst wahrscheinlich fallen. Du musst reflektieren, was falsch lief, was du beim nächsten Mal verbessern kannst und was du aus diesem Versuch übernehmen kannst, um deine neue Gewohnheit zu festigen.

Lernforscher sind sich einig, dass es auch eine gewisse Zeit braucht, um Veränderungen vorzunehmen.

Das ist auch logisch. Denn schließlich hast du deine alten Gewohnheiten über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte entwickelt. Es ist völlig utopisch, dann anzunehmen, dass ein oder zwei Seminartage dazu ausreichen, alles auf den Kopf zu stellen. Du kannst in solchen Sitzungen einen Funken zünden, du kannst Begeisterung wecken. Nicht mehr und nicht weniger sollten Seminare leisten. Selbst im normalen Leben geht man inzwischen von der sogenannten 21-Tage-Regel aus. Schon das Anziehen von Schuhen braucht etwa 21 Tage der Veränderung, um von einem Menschen, der sich standardmäßig zuerst seinen linken Schuh anzieht, einen Menschen zu machen, der sich zuerst seinen rechten Schuh anzieht.

Ein Mann lernt, seine Fähigkeit, Fahrrad zu fahren, zu verlernen, indem er lernt, ein Fahrrad zu fahren, das in die entgegengesetzte Richtung lenkt. Sehr spannendes Video zum Lernen.

Bei der Führungskräfteentwicklung geht es aber um so viel mehr.

Es geht darum, wirklich neue Gewohnheiten im Gehirn zu verankern. Es geht um wichtigere Tätigkeiten als das Anziehen von Schuhen. Je älter die Führungskraft, desto mehr Übung wird dieser Mensch brauchen. Selbst wenn die alte Fähigkeit „nur“ zehn Jahre lang auf eine bestimmte Weise ausgeführt wurde – es wird seine Zeit brauchen, sie zu verändern. Natürlich musst du nicht davon ausgehen, dass es weitere zehn Jahre benötigt, etwas zu verändern. Schließlich spielt hier auch die Motivation mit hinein.

Denn Motivation beflügelt Menschen.

Wenn jemand wirklich etwas verändern will, wird er auch Anstrengung hineinstecken. Die alten Gewohnheiten haben sich aus der Praxis ergeben und hier ergaben sich vielleicht nicht allzu viele Möglichkeiten, sie anzuwenden. Nun ist aber der Fokus auf den Lernprozess gelenkt. Die Führungskraft wird sich im Idealfall sogar Möglichkeiten suchen, ihr neues Wissen anzuwenden. Umso schneller wird sie ihr Wissen in eine Gewohnheit umwandeln.

Um nun wieder auf das Thema Führungskräfteentwicklung zu kommen:

Wenn dir wirklich etwas daran liegt, deinen Führungskräften Fähigkeiten und Werkzeuge mitzugeben, die in der Praxis funktionieren, um sie von bloßen Angestellten zu leuchtenden und kraftvollen Führungskräften zu transformieren, dann hast du hier einen Prozess, der wirklich funktioniert:

Phase 1: Lernen.

Das ist die Phase, auf die die meisten Trainings etwa 90% ihrer Bemühungen lenken. Es werden zwar immer wieder „Praxismomente“ eingebaut. Dass diese aber nicht der wirklichen Praxis entsprechen, sollte klar sein. In dieser Phase lernt eine Gruppe von Führungskräften eine neue Fähigkeit. Es geht darum, ein theoretisches Modell zu erlernen. Man nennt es auch die Wissensbildungsphase. Tatsächlich sollte diese Phase aber lediglich 15% der Aufmerksamkeit erhalten. Sie ist einfach nicht so wichtig wie die Anwendung des Wissens.

Phase 2: Anwenden.

In dieser Phase sollten die Führungskräfte ihr neu gewonnenes Wissen anwenden. Diese Phase sollte idealerweise in zwei Schritten durchgeführt werden.

  • Im ersten Schritt wird untereinander geübt.
  • Im zweiten – wichtigen – Schritt wird im echten Leben, am lebenden Objekt, geübt.

Diese Phase ist der Schlüssel dazu, dass gelernte Techniken in der Firma Anwendung finden – und zwar auf Dauer. Diese Phase sollte zwischen 80 und 90% der Aufmerksamkeit erhalten. Denn wenn du dein neues Wissen anwendest, stärkst du damit die neuralen Pfade in deinem Gehirn. Du aktivierst und stärkst sie.

Für diese Phase sollte die Führungskräfteentwicklung Hausaufgaben vorsehen.

Wenn die Führungskräfte nämlich ihr Wissen im wahren Leben anwenden sollen, dann bringt das ein ganz neues Element in den Lernprozess. Du nimmst die Sicher- heit aus dem Seminar heraus. Die Situation ist nicht länger konstruiert und genau das kann die Führungskräfte aus ihrer Komfortzone herausführen. Genau das ist der Bereich, in dem Wachstum stattfindet.

Sie wird mit echten Menschen konfrontiert und muss sich mit deren Wissensstand „herumschlagen“. Die Führungskraft hat mit Menschen zu tun, die sie führen soll und die eben keine wissenden Führungskräfte sind. Sie sieht sich Menschen gegenüber, die vielleicht etwas gegen die Führungsebene haben. Menschen, die etwas tun, um etwas zu erreichen. Da kann es mit den neuen Fähigkeiten schon einmal schwieriger werden. Aber genau das wird dazu führen, dass Ehrgeiz geweckt wird. Schließlich möchte eine gute Führungskraft nicht im nächsten Seminartermin sitzen und zugeben müssen, dass sie an ihren Hausaufgaben gescheitert ist.

Phase 3: Reflektieren.

Diese Phase beinhaltet eine kurze Nachbesprechung mit der Führungskraft, in der es darum geht, zu reflektieren, was gut lief und was eben nicht so gut lief.

Dazu sollten die Hausaufgaben mit schriftlichen Notizen versehen werden. Denn selbstverständlich kann sich niemand diese vielen Schritte merken. Nach jedem Übungsversuch sollte sich die Führungskraft einige Stichpunkte notieren, wenn etwas besonders gut oder besonders schlecht lief. Denn dann hast du eine Basis dafür, etwas zu besprechen. Du erhältst Daten aus dem echten Leben und weißt, welchen Herausforderungen deine Führungskraft gegenübersteht. Im besten Fall kann die ganze Organisation etwas aus diesem Prozess lernen – dann wird aus der Führungskräfteentwicklung sogar noch etwas größeres.

Diese Phase bedient zwei Zwecke im Lernprozess:

  • Erstens hält sie die Führungskraft dazu an, ihre Hausaufgaben zu erledigen. Niemand möchte ohne eine Basis zum Reflektieren dastehen.
  • Zweitens lernt sie, sich wirklich Gedanken darüber zu machen, was funktioniert hat und was nicht.

Natürlich werden sie nicht im ersten Versuch alles richtig machen. Daher ist diese Phase wichtig, damit sie verstehen, wie das Erlernen einer neuen Gewohnheit funktioniert. Auch wenn die Führungskraft in dieser Phase nicht wirklich etwas tut – sie stärkt dennoch ihre neuralen Pfade. Am Ende dieser Phase wird die Führungskraft im Idealfall hunderte Male ihre Anwendung reflektiert haben – somit wird aus einer Fähigkeit eine Angewohnheit.

Verhaltensänderungen verlangen Einsatz von Organisationen

Das Modell Lernen-Anwenden-Reflektieren soll dazu führen, dass Führungskräfte ihre Fähigkeiten einüben und es führt sie in die Aktion. Je schneller und häufiger eine Führungskraft etwas lernt und im echten Leben anwendet, desto wahrscheinlicher wird sie neue Gewohnheiten entwickeln. Nur so kann Führungskräfteentwicklung funktionieren.

Dazu muss aber eine grundsätzlich Lernbereitschaft in der Organisation vorhanden sein. Der Tod solcher Bemühungen liegt in Sätzen wie „Aber das machen wir schon seit zwanzig Jahren so. Das hat immer funktioniert.“ Alle Ebenen der Organisation müssen bei Lernprozessen mitziehen. Je größer die Organisation, desto größer die Herausforderung. Derartige Lernprozesse bringen mit sich, dass Führungskräfte bereit sind, sich mit ihren Verhaltensweisen auseinanderzusetzen. Es geht darum, nicht alles auf die dummen Angestellten zu schieben.

Das eigene Verhalten rückt in den Fokus und wird verändert.

Deine Führungskräfte werden durch ihre Bereitschaft, neue Gewohnheiten anzunehmen, zu echten Vorbildern. Denn dadurch werden die Teammitglieder auch bereit sein, ihr eigenes Verhalten zu überdenken. Sie bemerken, dass die Führungskräfte sich verändern und sind nun auch bereit, auf geforderte Veränderungen einzugehen. Darauf solltest du eine Augenmerk bei der eigenen, aber auch bei der gesamten Führungskräfteentwicklung richten.

Aber auch und besonders die Chefetage ist gefragt. Denn sie muss ihren Führungskräften die Möglichkeit geben, Veränderungen im laufenden Arbeitsprozess durchzuführen. Dass es dabei zu Fehlern kommen kann, ist zwar vielen Chefs theoretisch klar. Wenn es dann aber dazu kommt, dass durch die Lernprozesse Konflikte auftreten, dass etwas nicht ganz rund läuft, dann ist die Chefetage gefragt, Geduld an den Tag zu legen.

In einer idealen Welt finden nun auch hier Lernprozesse statt.

Der Wandel von Organisationen passiert genau dann, wenn sich die Angewohnheiten ihrer Führungskräfte wandeln. Hier geht es los – wenn du an deiner Führungskräfteentwicklung arbeitest. Wenn deine Führungskräfte neue Gewohnheiten entwickeln, dann wird deine Firma auch erfolgreich.

Zunächst einmal sollte ein Bewusstsein für Lernprozesse geschaffen werden. Es sollte klar sein, dass der Satz „Stillstand ist Rückschritt“ nicht nur für den einzelnen Menschen gilt. Er gilt selbstverständlich – wenn nicht noch mehr – auch für Firmen und Organisationen, besonders im Hinblick auf die Führungskräfteentwicklung. Sobald dieses Wissen vorhanden ist, muss die Bereitschaft entstehen, die Organisation als Übungsumfeld einzusetzen.

Das muss sich nicht wie ein Versuchslabor anfühlen.

Wenn alle über die angestrebten Lernprozesse informiert sind und wenn alle dazu bereit sind, mitzuziehen, kann eine ständige Stimmung des Aufbruchs entstehen. Jeder möchte etwas zum Lernprozess beitragen. Verfeindete Lager würden diesen Lernprozess lediglich aufhalten. Und letzten Endes bringen die Lernprozesse in Verbindung mit dem daraus resultierenden Erfolg der Firma allen etwas – die Sicherheit, dass ihr Job auch weiterhin bestehen bleibt. Wenn das passiert, können alle Beteiligten auch etwas für ihr eigenes Leben mitnehmen. Denn neue Fähigkeiten beschränken sich ja nicht nur auf das Arbeitsleben, sondern auf den ganzen Menschen. So gelingt dann Führungskräfteentwicklung erfolgreich.

Hier schreibt Kai Boyd
Mit jahrzehntelanger Erfahrung in Führungspositionen, darunter bei PricewaterhouseCoopers und Deutsche Telekom, Telefonica, deal united, Twilio und weg.de, hilft Kai Boyd Unternehmern und Einzelkämpfern, ihre Führungsfähigkeiten zu verbessern. Der Münchner und begeisterte Jogger bringt Expertise aus Konzernen, dem Mittelstand und Start-ups ein.

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