Wie man virtuelle Teams aufbaut – Teil 2

Das ist der zweite Teil zum Thema wie man virtuelle Teams führt.

Im ersten Teil ging es darum, welche Herausforderungen damit verbunden sind und was für Vorteile es hat, in solchen Teams zu arbeiten.

In diesem Teil werden wir ein bisschen praktischer und schauen uns an, wie man so ein Team aufbaut und was man dabei idealerweise beachten sollte.

Und dann im letzten Teil geht’s noch um praktische Strategien für Bereiche wie Kommunikation und Führung.

Seit mehr als 10 Jahre leite ich virtuelle und Remote-Teams. Das bringt tatsächlich immer eigene Herausforderungen mit sich. Und man lernt nie aus.

Wie bauen wir also virtuelle Teams auf?

Es gibt da eine Reihe von Punkten zu beachten: die Auswahl des Teams, die Entwicklung des Teams, der Aufbau von guten Beziehungen, der Aufbau von Vertrauen und dann auch, dass man sich über Ziele und gewisse Spielregeln innerhalb von diesem Team einigt.

Virtuelle Teams zusammenstellen

Wenn man nicht an einen bestimmten Standort gebunden ist, hat man natürlich die Möglichkeit, eine viel breitere Gruppe von Leuten zu nutzen. Man kann sich also wirklich fragen: Wo finde ich die besten Leute? „In unserer Niederlassung in London haben wir da jemanden sitzen –  eine, die absolut super ist in dem speziellen Bereich.“ Also binden wir diese Personen ein, ohne dass diese Personen umziehen muss. Wir müssen uns Gedanken darüber machen: Welche Anforderungen müssen wir abdecken? Haben wir die richtigen Leute dafür im Team? Welche Rollen müssen erfüllt werden in diesem Team? Und wie können wir kulturelle Vielfalt am besten nutzen?

Hat man dann sein Team zusammengestellt, ist es natürlich wichtig, dass man dieses Team auch entwickelt. Idealerweise sollte es wirklich ein Kick-off-Meeting geben, an dem alle Face to Face teilnehmen. Ein erstes Meeting, bei dem man wirklich um den Tisch herum sitzt und sich nicht nur virtuell kennenlernt.

Wenn das irgendwie machbar ist, ist das sehr von Vorteil.

Übrigens gehen mehr und mehr Unternehmen darauf zurück, dass man sich dann doch wirklich mal gemeinsam trifft. Ist nicht immer nötig. Aber ich glaube, wir erkennen alle den Wert davon, sich bei einem Kaffee zu unterhalten oder Ähnliches, auch nachdem das Kick-off-Meeting stattgefunden hat. In den Situationen, in denen das leider nicht möglich ist, gibt’s natürlich auch viele Möglichkeiten des virtuellen Teambuildings.

Kick-off-Meeting und andere Teambuildingmaßnahmen

Das Kick-off-Meeting fängt mit ganz einfachen Sachen. Am Anfang zum Beispiel, während die ersten Leute bereits in der Leitung sind und noch darauf warten, dass andere sich einwählen: Nicht einfach nur dasitzen und warten, sondern schon mal ein bisschen über Dinge reden, die im Moment stattfinden. Wenn es ein Montag ist, kann man vielleicht auch übers Wochenende reden – sich da nicht zu scheuen, auch ein bisschen private Gespräche zu führen. Am Anfang einer Zusammenarbeit sollte man sich besonders bei virtuellen Teams durchaus ein bisschen breiter aufstellen, also nicht nur Name und Rolle bekanntgeben, sondern:

  • Wer bin ich, was mache ich?
  • Wie lange bin ich schon dabei?
  • Vielleicht auch: Was sind meine Hobbys?

Was auch immer das beinhalten mag. Darauf kann man sich ja vorher einigen. Es geht darum, dass man sich auch in einem virtuellen Team ein bisschen besser kennenlernt und nicht nur auf diesen Namen auf dem Bildschirm da reduziert ist.

Neben dem Kick-off-Meeting gibt es die unterschiedlichsten Tools, die man hier benutzen kann – spezielle Teambuilding-Tools für virtuelle Teams. Da gibt’s wirklich interessante Lösungen: Schatzsuche zum Beispiel.

Die Anfangsphase ist entscheidend

In der Anfangsphase eines virtuellen Teams würde ich also wirklich empfehlen, dass man sich ein bisschen Zeit nimmt dafür, sich kennenzulernen und Beziehungen zueinander aufzubauen. Auch im virtuellen Team ist Training notwendig, und das kann online stattfinden oder idealerweise auch Face to face. Und auch in einem virtuellen Team gibt es immer wieder neue Leute, die vielleicht auch noch ganz isoliert irgendwo sitzen, wo sie nicht mal den Kollegen fragen können, wie er das oder jenes macht. Die Empfehlung hier: Mentoren, Beziehungen oder Paten definieren, die sich öfter mal mit dieser Person austauschen, um zu sehen, ob irgendwelche Unterstützung erforderlich ist.

Solche Dinge sind in Teams am gleichen Standort oftmals ganz selbstverständlich und man sollte sie bei virtuellen Teams nicht vernachlässigen. All dies ist auch virtuell absolut machbar. Warum ist das so wichtig?

Es gibt eine Untersuchung dazu, wie sich zwei Arten von Teams voneinander unterscheiden:

  • Auf der einen Seite stand ein Team, das sich allein auf seine Aufgaben fokussiert hat und keinerlei Anstrengungen unternommen hat, Beziehungen im Team aufzubauen oder Teambildung zu machen.
  • Und dann gab es das andere Team, das sich zwar schon auf die Aufgabe fokussierte, aber sich auch auf die Beziehungsebene konzentriert hat.

Wenn man die langfristige Produktivität anschaut, stellt man fest, dass die Kurve bei dem ersten Team erstmal nach oben geht. Aber dann kommt bald die Tatsache zum Tragen, dass man keine Beziehungen aufgebaut hat, dass man kulturelle Konflikte nicht angeht. Das kann dazu führen, dass das Vertrauen einfach nicht da ist und irgendwann auch die Produktivität dieser Teams nachlässt, während die anderen Teams, die sich von vornherein auf Beziehungsaufbau und so konzentriert haben, langfristig besser abschneiden. Die sind vielleicht am Anfang nicht ganz so produktiv. Aber langfristig sind sie auf jeden Fall die besseren Teams.

Das zeigt ganz klar, wie wichtig es ist, dass man sich wirklich um diesen Beziehungsaufbau kümmert  – nicht nur für das Wohlergehen der einzelnen Leute, sondern auch für die Produktivität.

Erstellt zusammen eine Teamcharta

Um das Ganze ein bisschen konkreter zu gestalten, empfehle ich, dass man am Beginn der Zusammenarbeit gemeinsam eine sogenannte Teamcharta erstellt, anstatt nur zusammenzukommen und zu sagen:  „So, los geht‘s“, und jeder kommt mit seiner eigenen Arbeitsweise und ist dann ganz enttäuscht, wenn er oder sie damit keinen Erfolg hat. Wenn man sich stattdessen bestimmte grundlegende Dinge für das virtuelle Teams vorher überlegt, kann das sehr hilfreich sein. Einige Beispiele:

  • Was ist überhaupt der Sinn und Zweck dieses Teams? Welche Ziele verfolgen wir? (Glaubt mir, wenn man diese Frage am Anfang stellt, bekommt man die unterschiedlichsten Antworten. Eine solche Vielzahl an unterschiedlichen Zielen ist ja nicht gerade hilfreich, wenn es um zielgerichtetes Arbeiten geht.)
  • Welche Werte sind uns wichtig in unserem Team? Man kann zum Beispiel sagen, uns ist Offenheit wichtig (Offenheit ist im Übrigen ein Wert, der in solchen Situationen häufig genannt wird). Da muss man sich aber auch darüber unterhalten. Was bedeutet das? Was bedeutet Offenheit, wenn es zum Beispiel um den Austausch von Informationen geht? Wie viel Informationen halte ich zurück? Hier kommt das gute alte deutsche Sprichwort „Wissen ist Macht“ zum Tragen. Wie viel lasse ich wirklich raus? Was gebe ich wirklich an die Kollegen weiter und was nicht?
  • Wie sieht das mit diesen Werten in der praktischen Umsetzung aus? Welche Erwartungen haben wir an die Teamleitung? Da gibt es große kulturelle Unterschiede; manche sind eine relativ enge Führung gewöhnt, andere nicht. Sollen klare Vorgaben gemacht werden? Oder geht es mehr um Unabhängigkeit, um eine gewisse Freiheit dabei?
  • Wie verstehen wir unsere Rollen? Wenn mir jetzt eine bestimmte Rolle zugewiesen wird, was heißt es überhaupt in meinem eigenen Kontext? An meinem eigenen Standort ist es vielleicht ganz klar. Aber an anderen Standorten in anderen Ländern dürften die Erwartungen wieder andere sein. Wie sehen wir das ganze Thema Empowerment? Spannend ist, dass es dafür in Deutschland eigentlich gar kein klares Wort gibt. Inwieweit darf man sich die eigene Rolle ausgestalten und auch mal über den vorgegebenen Rahmen der Rolle hinausgehen?

Das sind so Dinge, die man wirklich unbedingt vorher oder wenigstens in der Anfangsphase des Teams abklären sollte.

Außerdem brauchen wir klare Spielregeln, wenn es um das praktische Miteinander in virtuellen Teams geht.

Wie könnten die Spielregeln aussehen?

Spielregel Nummer 1: Ausreden lassen & Respekt zeigen

Ja, genau ausreden lassen und mit Namen melden. Das fliegt oft raus in der Hitze des Gefechts, wenn es richtig lebhaft wird. Irgendwann weiß keiner mehr: Wer war das jetzt? Wer hat da jetzt gerade gesprochen? Das mit dem Ausreden ist so wichtig, gerade wenn man selber die eigene Muttersprache sprechen darf. Das gilt in internationalen Meetings besonders für die englischen Muttersprachler, die dann irgendwann dominant werden, weil sie der englischen Sprache einfach am besten mächtig sind.

Wenn jemand hingegen die zweite oder dritte oder vierte Fremdsprache spricht, dann ist es natürlich nicht so einfach, sich da durchzusetzen.

Das ist ein ganz großes Problem, das ich immer wieder sehe und das man ansprechen muss. Während Covid-19 war es tatsächlich etwas einfacher, da alle alleine zu Hause saßen. Da haben sich die Kollegen einfach mehr zusammenreißen müssen – die Art zu moderieren hat sich geändert. Es bleibt also abzuwarten, ob das später wieder anders wird, wenn wir womöglich wieder in ein Büro gehen.

Aber natürlich gilt das auch im allgemeinen Umgang miteinander: Auch wenn wir in einem virtuellen Meeting sitzen und alle Deutsch sprechen, sollten wir andere im Meeting ausreden lassen. Extrem wichtig.

Spielregel Nummer 2: Eine klare, von Respekt geprägte Meetingstruktur einhalten

Noch nie war eine Agenda so wertvoll. Und auch die Moderation bekommt plötzlichen einen ganz neuen Stellenwert. Das ist anstrengend, kann ich euch sagen …

Was ist noch wichtig in einem virtuellen Meeting? Offenheit und Wertschätzung, Respekt voreinander. Ja, die Versuchung des Multitasking unterdrücken. Kamera immer an. Und das ist hochinteressant, gerade wenn man eine kleinere Gruppe hat, wo man die Gesichter sehen kann. Man sieht dann, dass die Leute oft mehrere Sachen gleichzeitig machen. Eigentlich sind sie in dieser Konferenz, aber sie gucken auch mal schnell auf die E-Mail oder auf irgendwelche anderen Sachen.

Die Versuchung ist riesengroß und führt natürlich dazu, dass man sich nicht so intensiv mit dem besprochenen Thema beschäftigt, wie man das vielleicht sonst tun würde.

Spielregel Nummer 3: Sich über die Kommunikation einig werden

Wie kommunizieren wir miteinander? Das ist eine wichtige Frage. Ein Beispiel: In manchen virtuellen Teams bekommt man auch abends um 10 noch eine WhatsApp-Nachricht oder irgendeine andere Instant-Messenger-Geschichte. Für manche Leute, für manche Kulturen ist das ganz normal. In anderen Bereichen sagt man: „Nehme ich nicht ab. Ab 19 Uhr oder so bin ich nicht erreichbar. Und die Kommunikationsform ist mir auch viel zu privat. Möchte ich im geschäftlichen Bereich nicht.“ Solche Dinge sollte man vorher besprechen.

Auch sollte besprochen werden,

  • wie schnell wir auf eine Nachricht reagieren, was da unsere Erwartungen aneinander sind.
  • Reagieren wir immer alle sofort oder genügt es, wenn ich bis heute Abend eine Antwort gebe bzw. bekomme?
  • Das betrifft dann auch diese Grenze zwischen Erreichbarkeit und Privatleben. Wo ziehen wir die?
  • Da gibt es riesige kulturelle Unterschiede. In manchen Kulturen muss man wirklich fast konstant erreichbar sein. In anderen wird ganz klar gesagt: „Nee, jetzt geh ich nach Hause. Jetzt bin ich nicht mehr erreichbar.“

Weitere wichtige Fragen: Wie frei ist der Informationsaustausch? Wie weit gehen wir da? Wie laufen unsere Meetings ab (bezieht sich auch wieder auf die Struktur der Meetings)? Und wie geben wir uns gegenseitig Feedback? Haben wir dafür eine bestimmte Methode? Wie schnell machen wir das? Und wie soll das insgesamt aussehen? Das sind alles Dinge, die man vorab klären kann, um von vornherein bessere Voraussetzungen zu schaffen.

Zum Beispiel beim Thema Zeit:

  • Dieses Teammitglied, ist das jemand, der früh aufsteht? Kann man mit dem auch morgens um 7 Uhr mal eine Konferenzschaltung machen? Oder arbeitet er oder sie lieber abends spät? Denn es ist ja oft bei weltweiten Teams so, dass jemand dann doch mal früher oder später als zu normalen Bürozeiten teilnehmen muss – lässt sich oft leider nicht vermeiden. Aber je mehr man da den Vorlieben der Leute entgegenkommen kann, desto besser.
  • Wie sehen die Gewohnheiten mittags aus? Kann man ein Meeting um 12 Uhr zum Beispiel anberaumen? In UK ist es mittlerweile so, dass die Leute mittags alle nur schnell ein Sandwich am Schreibtisch essen. In anderen Ländern geht man in die Kantine oder nimmt sich wirklich Zeit zum Mittagessen. Das sollte man vorher klären, damit man sich nicht gegenseitig stört.
  • Und gibt es irgendwelche familiären Verpflichtungen? Viele Leute müssen zu einer bestimmten Zeit mit der Arbeit aufhören, weil sie ihre Kinder aus der Betreuung abholen müssen oder was auch immer. Darüber sollte man sich unterhalten.

Fragen, die den Arbeitsort betreffen, könnten sein: Arbeiten die Kollegen im Homeoffice oder an einem anderen Standort? Teilen Sie den Raum mit anderen Leuten oder sitzen sie alleine? Wie lang ist der Weg zur Arbeit? Wie viel Zeit brauchen die dafür? Darüber hinaus ist es wichtig, dass ihr euch über den Arbeitsstil unterhaltet, über die Erwartungen, über den Kommunikationsstil. Und dann gibt es noch einen breiteren Kontext wie etwa das politische Umfeld. In manchen Ländern sind beispielsweise bestimmte soziale Plattformen nicht verfügbar, weil sie politisch nicht akzeptiert werden. Es gibt teilweise klimatische Gegebenheiten, die die Leute beeinflussen können, rechtliche Einschränkungen, Infrastruktur vor Ort, Feiertage, Fastenzeit usw.  Alles Dinge, die – kulturell gesehen – durchaus wichtig werden können.

Vertrauen aufbauen

Gerade bei internationalen, weltweiten Teams sollte man sich darüber unterhalten. Es kann gar nicht genug betont werden, wie wichtig es ist, dass man Vertrauen zueinander aufbaut.

Was brauchst du, um jemandem vertrauen zu können?

  • Respektvoller Umgang und gute Kommunikation: absolut zentral.
  • Ehrlichkeit: Wir tun das, was wir sagen. Wir sind offen im Umgang miteinander.
  • Echtes Engagement: Man hat nicht das Gefühl, dass man jetzt für alle anderen die Arbeit mitmacht, sondern alle sind voll engagiert dabei.

Es ist wirklich wichtig, dass man das Vertrauen im Umgang miteinander aufbaut. Darüber gibt es natürlich noch viel mehr zu sagen, aber für heute soll es genügen. Nächstes Mal sprechen wir dann darüber, wie man nun aufgestellte virtuelle Teams auch führt.

Dieser Artikel basierte auf dem Podcast „Dein Team, Deine Pflicht“. Um diese und viele andere Episoden zu hören, kannst du den Dein-Team-Deine-Pflicht Podcast abonnieren.

Hier schreibt Kai Boyd
Mit jahrzehntelanger Erfahrung in Führungspositionen, darunter bei PricewaterhouseCoopers und Deutsche Telekom, Telefonica, deal united, Twilio und weg.de, hilft Kai Boyd Unternehmern und Einzelkämpfern, ihre Führungsfähigkeiten zu verbessern. Der Münchner und begeisterte Jogger bringt Expertise aus Konzernen, dem Mittelstand und Start-ups ein.

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