Was tun, wenn du Zeuge von Respektlosigkeit am Arbeitsplatz wirst?

Wir haben es alle schon einmal gemacht: Standen still und sahen zu, wie jemand unverschämt und respektlos behandelt wurde. Und unsere Untätigkeit fühlte sich schlecht an – wir haben uns später sogar dafür geschämt, oder? Aber was soll man tun, wenn man Zeuge einer respektlosen Interaktion zwischen Kollegen wird? Es kann schwierig sein, effektiv, professionell und unterstützend einzuschreiten. Du könntest ja deine Karriere oder sogar deine körperliche und emotionale Sicherheit oder deine Arbeitsbeziehungen gefährden.

Du kannst zu diesem Thema auch einen Podcast hören.

Leider führen Schweigen und Untätigkeit nur dazu, dass Respektlosigkeit sich im Job weiter verbreitet. Ich möchte dir ein ein paar neue Wege aufzeigen, diese ungesunde Dynamik am Arbeitsplatz zu verstehen. Und auch zeigen, wie man reagiert, wenn man unangemessenes Verhalten beobachtet. Somit tragen wir alle zur Schaffung einer gesunden Arbeitsumgebung bei.

Respektlosigkeit hat ein Spektrum

Unverschämtes Verhalten hat ein Spektrum. Auf der einen Seite gibt es milde Ausprägungen, die leicht übersehen werden können. Zum Beispiel hören die Leute einander nicht zu, untergraben sich absichtlich gegenseitig oder weigern sich, die Beiträge anderer zur Kenntnis zu nehmen. Dinge wie Scham und Erniedrigung, oft in Form von Witzen, sind akzeptabel.

Solche Elemente in einer Arbeitsplatzkultur zu haben, schafft erst den fruchtbaren Boden für mehr Respektlosigkeit. Was zunächst vernachlässigbar erscheint, eskaliert dann in traditionellere Formen der Belästigung, wie unangemessene Kommentare, sexuelle Anspielungen, verbaler Missbrauch und unangebrachte Berührungen. Deshalb ist es entscheidend, die kleinen Verstöße wahrzunehmen und anzusprechen, dass Respektlosigkeit jeglicher Art keinen Platz in der Arbeitsumgebung hat.

Fünf Tipps für mögliche Interventionen

Wenn du respektloses Verhalten am Arbeitsplatz beobachtest, sei es persönlich oder in einer immer größer werdenden Online Arbeitswelt, gibt es fünf Ansätze, mit denen du eingreifen kannst. Jede bietet eine starke Möglichkeit, sich einzumischen und dabei gleichzeitig zu überlegen, was für die Situation am besten geeignet ist.

  • Delegieren: Finde jemanden, der dir helfen kann, z.B. einen anderen Kollegen, es muss nicht immer die Personalabteilung sein
  • Ablenken: Lenk ab und allen die Möglichkeit zu geben das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken, bevor es eskaliert.
  • Prüfen: Schau nach der Person, die beleidigt oder respektlos behandelt wurde. Lass sie wissen, dass du mitbekommen hast, was passiert ist. Geh sicher, dass er ihr gut geht.
  • Dokumentieren: Erstelle eine Notiz über das Wer, Was, Wann und Wo. Dann gib sie der Person, die respektlos behandelt wurde.
  • Direkt ansprechen: Misch dich ein. Lass den Täter wissen, dass seine Worte oder sein Verhalten nicht angemessen sind.

Folgenden zusätzlichen Kontext im Umgang mit Respektlosigkeit kann ich dir anbieten:

Delegieren; Erkenne deine Identität im Kontext

Wenn du respektloses Verhalten beobachtest, bist du vielleicht nicht die beste Person, um darauf zu reagieren. Wenn die Respektlosigkeit sexueller Art ist, ist es für eine Frau vielleicht weniger angenehm, sich einzumischen. In Fällen, in denen du denkst, dass eine andere Person passender wäre, frag einen Kollegen in deiner Nähe um Hilfe. Wenn du „delegieren“ hörst, bedeutet das nicht immer, dass du gleich zur Personalabteilung gehen musst. Es kann einfacher und effektiver sein, einen Kollegen um Hilfe zu bitten.

Lenk ab; stör die Situation

Indem du die Aufmerksamkeit auf jemanden oder etwas anderes richtest, kannst du störend eingreifen. Das gibt den anderen die Möglichkeit die Situation zu de-eskalieren. Hier kannst du zwei grundlegende Ansätze verfolgen:

Beginne ein Gespräch mit der Person, die belästigt wird

Unterbrich das Gespräch, um der Person, die respektlos oder belästigt wird, eine Frage zu stellen: „Ich habe eine Frage zu diesem Bericht, den ich gleich abgeben werde. Ich könnte deine Hilfe für eine Minute gebrauchen“. (Hier ist es in Ordnung zu lügen). Es geht darum, nicht direkt über die Belästigung zu sprechen, sondern sich auf sicherem Terrain zu bewegen. Entweder startet so neues Gespräch oder du gibst der Person einen Grund gibt, wegzugehen. Die belästigende Person verschwindet normalerweise.

Schafft eine buchstäbliche Ablenkung, lass es etwas auf den Boden fallen

Es ist schwer, ein lautes Ereignis in der Nähe nicht zu bemerken. Wenn du also deine Unterlagen fallen lässt, dann greifst du direkt in das Geschehen ein. Du gibst der beleidigten Person die Möglichkeit tief durchzuatmen und herauszufinden, wie sie aus der Situation herauskommt. Sie könnte dir zum Beispiel beim Aufräumen helfen.

Prüfen; sich um die angegangene Person kümmern

Einen Kollegen nach einer verbalen Attacke sofort beizustehen, kann sehr hilfreich sein. Es reicht sich einfach mit ihr zusammen zu setzen, zu bestätigen, was du gesehen hast, oder zu fragen, ob sie etwas braucht. Du bietest so eine enorme Unterstützung an. Auf der anderen Seite kann die Konsequenz, sich nach einem solchen Vorfall nicht bei einem Teamkollegen zu melden, zu einer grundsätzlichen Erosion des Vertrauens führen. Auch wenn es den Anschein haben mag, dass das Ignorieren des Vorfalls die Person nicht weiter in Verlegenheit bringen wird, in Wirklichkeit lässt die fehlende Anerkennung den Anschein erwecken, dass jeder, der es bemerkt oder gesehen hat, an dieser Respektlosigkeit mitschuldig ist.

Dokumentieren; Erinnerung kann einen im Stich lassen

Unsere Erinnerungen, selbst bei traumatischen Ereignissen, sind oft bruchstückhaft. Die Menschen warten oft, bis es zu spät ist, um mit einer Dokumentation zu beginnen, und stellen dann später fest, dass sie wichtige Details nicht mehr abrufen können. Diese Arbeit für einen Kollegen zu machen, kann sehr unterstützend sein. Notiere, was gesagt wurde, wer im Raum war, wie spät es war usw. und gib es der Person, die belästigt wurde. Selbst wenn sie es im Moment nicht eskalieren will, ist es außerordentlich hilfreich und bestätigend, eine Unterlagen zu haben. Auch ist es gut zu wissen, dass du hinter ihr stehst, falls sie sich jemals entscheiden sollten, mit der Personalabteilung zu sprechen.

Direkt ansprechen; stelle eine klärende Frage

Vor allem auf Führungskräften lastet ein großer Druck, direkt auf eine respektlose Situationen zu reagieren. Es gibt zwar Zeiten, in denen man sehr klare Grenzen setzen muss, indem man die Person im Moment konfrontiert, aber das ist nicht immer notwendig. Wenn zum Beispiel jemand sagt: „Gib dieses Aufgabe nicht an Michaela. Sie muss auf die Kinder aufpassen“, könntest du sagen, „Stereotypen über Mütter gehören hier nicht hin“. Oder du könntest eine klärende Frage stellen wie: „Es klingt so, als wolltest du andeuten, dass Mutter zu sein heißt, dass Michaela irgendwie nicht für den Job geeignet ist. Habe ich das richtig verstanden?“, das gibt der Person, die respektlos ist, eine Chance, zu reflektieren.

Hoffentlich sieht sie, dass ihr Kommentar unangebracht war und antwortet mit einer Entschuldigung und einer Anerkennung. „Oh, das ist nicht das, was ich gemeint habe. Es ist nur so, dass ich mir gedacht habe, dass sie für diesen Kunden nicht reisen möchte, weil sie dafür so viel weg sein müsste. Ich sehe aber, dass ich keine ungeprüften Annahmen machen sollte und werde Michaela fragen, was sie will“. Wenn die Person von sich aus zu dieser Schlussfolgerung kommt, ohne dass du sie zurechtweist, hält sie auch länger an dieser Lektion fest. Aber wenn die beleidigende Person es nicht versteht, musst du auf jeden Fall klare Grenze setzen.

Es ist wichtig, den anderen anwesenden Mitarbeitern zu signalisieren, dass diese Art von Verhalten oder Denken inakzeptabel und falsch ist. Getrennt davon ist oft auch ein tieferes Gespräch notwendig. Während dieser Nachbereitung ist es deine Aufgabe, dem Einzelnen zu helfen, zu verstehen, warum seine Sprache, Handlungen oder Denkmuster problematisch waren, und neue, angemessenere Sprach- und Verhaltensweisen zu finden.

Werkzeuge gegen Respektlosigkeit für jetzt und in Zukunft

Vorurteile zu haben kann explizit direkt bewusst ausgedrückt werden, z.B. wenn ein Kollege erwähnt, dass er Menschen einer bestimmten Gruppe nicht mag. Aber am Arbeitsplatz sind es oft implizite, indirekte und unbewusste Vorurteile, die am häufigsten vorkommen, wie z.B. die Negierung von Beiträgen von Personen mit einer bestimmten Identität.

Der Vorteil unserer Pandemie ist, da viele Teams virtuell geworden sind, haben einige Mitarbeiter einen Rückgang der Belästigung oder Respektlosigkeit am Arbeitsplatz gespürt. Weil sie eben remote arbeiten. Dies, zusammen mit einem größeren gesellschaftlichen Bewusstsein, bedeutet, dass immer mehr Menschen verlangen, sich am Arbeitsplatz sicher und wohl zu fühlen, wenn sie wieder ins Büro zurückkehren.

Die fünf Tipps sind ein tolles Werkzeug, um auf respektlose Situationen am Arbeitsplatz reagieren zu können. Das ist letztendlich für die Sicherheit des Teams entscheidend. Bei der Intervention von Außen geht es nicht um Heldentaten, sondern darum, sich um die Person zu kümmern, die belästigt wird. Wenn du deine Einstellung änderst und dir überlegst, was das Opfer in diesem Moment braucht – sei es emotionale Unterstützung, Ablenkung oder direktes Eingreifen – dann kannst du sicherstellen, dass deine Handlungen mit deinen Absichten übereinstimmen. Auf diese Weise können wir alle, nicht nur Führungskräfte, dazu beitragen, eine sichere und respektvolle Arbeitsumgebung zu schaffen.

Hier schreibt Kai Boyd
Mit jahrzehntelanger Erfahrung in Führungspositionen, darunter bei PricewaterhouseCoopers und Deutsche Telekom, Telefonica, deal united, Twilio und weg.de, hilft Kai Boyd Unternehmern und Einzelkämpfern, ihre Führungsfähigkeiten zu verbessern. Der Münchner und begeisterte Jogger bringt Expertise aus Konzernen, dem Mittelstand und Start-ups ein.

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