Der Artikel basiert auf dieser Podcastfolge. Dazu kannst du dir hier auch einen Leitfaden herunterladen.
Selbständigkeit fördern
Heute sprechen wir über Autonomie. Ich persönlich liebe es, die Freiheit zu haben, von jedem Ort aus zu jeder Zeit und vor allem an den Dingen arbeiten zu können, an denen ich arbeiten möchte.
Das ist mit ein Grund dafür, dass ich schon früh Führungskraft wurde. Es kommt dir vielleicht komisch vor, aber ich habe mein Leben bei der Bundeswehr genossen, eben weil ich es nicht mochte, wenn man mir sagte, was ich zu tun hatte. Bei der Bundeswehr wird mit Auftrag geführt. Wie du diesen dann erledigst, liegt weitgehend in deiner Hand.
Jedenfalls spreche ich im Folgenden über verschiedene Formen der Autonomie. Es geht mir darum, wie du deinem Team mehr Selbständigkeit gibst, aber dennoch strukturiert zum Erfolg führst.
Autonomie ist eines der Dinge, die wirklich einen Unterschied machen.
Vor allem wenn man darüber nachdenkt, wie Menschen zusammenarbeiten. Und wenn du ein High Performing Team aufbauen willst, muss es ein gewisses Maß an Autonomie geben. Einer meiner Lieblingsautoren, der Psychologe Daniel Pink, sagt in seinem Buch „Drive“ (Antrieb), dass Menschen durch Autonomie, Beherrschung und Zielstrebigkeit angetrieben werden.
Achtung, jetzt komme eine Definition:
Autonomie wird definiert als Freisein von externer Kontrolle oder Einflussnahme.
Definition
Aber Autonomie gibt es in verschiedenen Ausprägungen. Ich werde nun mit dir einige dieser Ausprägungen besprechen.
Der erste Schritt ist, wie gearbeitet wird.
Erlaubst du den Mitarbeitern in deinem Team, ihre Arbeit so zu tun, wie sie es für richtig halten? Oder machst du Vorgaben, auf welche Art und Weise bestimmte Aufgaben erledigt werden müssen? Mit vorgegebenen Tools (z. B. Keynote von Apple anstatt PPT von Microsoft)? Auch wenn es vielleicht nicht notwendig ist?
Und in vielen Fällen können wir die Art und Weise, wie wir etwas tun wollen, mit der Art und Weise, wie andere es tun sollten, in Einklang bringen. Du willst sicherlich nicht, dass jemand das Rad neu erfindet. Der Austausch von Erfahrungen oder bewährten Praktiken kann also sehr hilfreich sein. Was aber nicht hilfreich ist: wenn wir genau beschreiben, wie etwas getan werden muss, obwohl die Person, die es jetzt tut, vielleicht tatsächlich einen besseren Weg hat. Und zwar eine, der für sie funktioniert.
Lass uns mal darüber sprechen, wann gearbeitet wird. Können deine Mitarbeiter dann arbeiten, wann es für sie am besten ist?
Müssen sie von 9:00 bis 18:00 Uhr im Büro oder Home-Office verfügbar sein? Wenn ja, warum? Manchmal sind wir durch diese gesellschaftliche Norm unnötig eingeschränkt. An diesen „Neun bis sechs“-Arbeitstagen solltest du nicht wirklich täglich von 9:00 bis 18:00 Uhr verfügbar sein, wenn dein Job oder die Aufgabe selbst dies nicht erfordert. Du bist zum Beispiel kein Kundendienstmitarbeiter oder Ähnliches, wo man von dir erwartet, dass du verfügbar bist. Warum ist es also notwendig?
Um so ein Problem zu lösen, haben wir in unserem Team einmal die Kernarbeitszeit genutzt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt am Tag oder in der Woche waren alle Mitarbeiter gleichzeitig verfügbar.
Das stellte sicher, dass es Zeiten gab, in denen eine direkte und unmittelbare Kommunikation und Besprechungen möglich waren. Die anderen Arbeitsstunden am Tag konnten von jedem Mitarbeiter auf der Grundlage ihres persönlichen Zeitplans festgelegt werden. Sie durften frühmorgens oder spätabends arbeiten, wenn sie dies wünschten. Auf diese Weise konnte jede Person für sich selbst einen Zeitplan erstellen, der für sie am besten geeignet war.
Die wohl einschneidendste Form der Autonomie ist vielleicht der Ort, an dem du arbeitest. Brauchst du Mitarbeiter im Büro und an ihren Schreibtischen?
Kann man von zu Hause oder in einem Café arbeiten? Was ist mit dem Strand? Ich habe schon mal über einen Monat lang in einer anderen Stadt gearbeitet als meine Mitarbeiter. Ich musste auf meine pflegebedürftige Mutter aufpassen, als auch mein Vater ins Krankenhaus kam. Das war nicht einfach, aber insgesamt hat es gut funktioniert. Und dadurch, dass mein Chef mir das ohne Wenn und Aber gestattet hat, konnte ich mich in dieser kritischen Phase um meine Mutter kümmern – und zwar ohne einen langen Urlaub nehmen zu müssen. Das war noch zu Zeiten, als Teammeetings nur per Telefon stattfinden konnten – als die Handys noch keine so tollen Kameras hatten.
Als Nächstes geht es darum, woran jemand arbeitet.
Haben deine Mitarbeiter die Wahl, an welchen Projekten sie sich beteiligen? Bittest du sie, sich freiwillig an Aufgaben zu beteiligen, anstatt ihnen die Aufgaben einfach nur zuzuweisen? Es gibt einen interessanten psychologischen Unterschied zwischen „gefragt zu werden“ und „gesagt zu bekommen“. Das Fragen gibt dem Empfänger die Kontrolle. Und damit die volle Macht, zu entscheiden und abzulehnen. Wenn man sich entscheidet, etwas zu tun, ist man eigentlich mehr involviert.
Kern der Autonomie ist, dass man auf eine Frage oder Bitte, etwas Bestimmtes zu tun, nein sagen können muss. Wenn du deinen Mitarbeitern diese Möglichkeit gibst, dann hast du die Kontrolle an sie übergeben. Jetzt ist es natürlich unsere Aufgabe als Führungskraft, den Mitarbeitern gelegentlich zu sagen, was sie tun sollen. Und manchmal kann man den Mitarbeitern eben leider keine Wahl lassen, wenn es darum geht, was genau erledigt werden soll.
Wenn du allerdings gründlich nachdenkst, gibt es vielleicht eine Option, wer diese Arbeit erledigen sollte. Und ich habe festgestellt, dass, wenn ich meinem Team Aufgaben anbiete und frage, wer möchte diese Arbeit als Nächstes erledigen, wer möchte diese Analyse durchführen, dass sich dann Teammitglieder freiwillig melden. Mich überrascht oft, wer sich dann meldet, um eine bestimmte Arbeit zu übernehmen.
Zu guter Letzt geht es darum, mit wem deine Mitarbeiter zusammenarbeiten.
Man hat logischerweise nicht immer die Wahl, mit wem man arbeitet. Aber in größeren Organisationen oder Teams kann es Gelegenheiten geben, gezielt mit den Kollegen zusammenzuarbeiten, mit denen man eben gerne zusammenarbeitet.
All die Punkte, die wir bezüglich der Autonomie besprochen haben, bedeuten definitiv nicht, dass du dich zurücklehnen und entspannen solltest und deine Teammitglieder tun lassen können, was immer sie wollen. Aber so wie man nicht alles bis ins kleinste Detail steuern und ihnen bis ins kleinste Detail alles vorschreiben sollte, darf man auch nicht alles ungesteuert laufen lassen. Du musst wirklich die richtige Balance finden.
Es gibt Menschen, die sehr detaillierte, explizite Anweisungen und ständige Kontrolle benötigen. Manche Menschen brauchen solche strikten Arbeitsbedingungen oder besonderen Strukturen, die ihnen helfen, gute Arbeit zu leisten.
Du darfst das
- Setzen von Grenzen und
- die Bereitstellung von Strukturen,
- das Geben von Informationen und
- das Führen von Aufsicht,
wenn sie jemand braucht, niemals mit Mikromanagement verwechseln. Das ist nur der Fall, wenn du Mitarbeiter, die all diese Dinge nicht benötigen, so behandelst.
So ist das auch bei der Autonomie.
Manche Menschen brauchen die Freiheit zu entscheiden, ob sie von zu Hause aus arbeiten oder um 10:30 Uhr kommen können, oder dass sie sich aussuchen können, welche Arbeit sie tun wollen usw.
Autonomie ist dann am besten, wenn man gerade genug Struktur, Informationen und Kontrolle erfährt, um den Teammitgliedern die Freiheit zu geben, innerhalb dieser Grenzen alle Entscheidungen zu treffen und erfolgreich zu sein. Das bedeutet auch, dass du nicht immer die gleiche Art oder den gleichen Grad von Autonomie jedem Mitarbeiter zukommen lässt. Wir alle brauchen unterschiedliche Dinge, um erfolgreich zu sein.
Wie die Mitarbeiter mit dieser Unabhängigkeit umgehen, ist von entscheidender Bedeutung.
So hatte ich einmal einen Mitarbeiter, der mit seiner Arbeit im Home-Office in Rückstand geriet. Was macht man da? Anstelle ihm also zu sagen, dass er nicht mehr von zu Hause aus arbeiten kann, habe ich die Art meiner Unterstützung verändert – so wie ich es im Übrigen im Büro auch machen würde. Wir sprachen zum Beispiel darüber, wie das Arbeiten im Home-Office bei ihm aussieht. Ich fragte ihn, ob er eine Möglichkeit hat, Ablenkungen (zum Beispiel von Kindern) zu reduzieren, indem er bestimmte Zeiten für die Arbeit und andere Zeiten für die Hausarbeit blockiert, was, wie wir wissen, jeder von uns tut, wenn er von zu Hause aus arbeitet.
Mir half natürlich auch, dass wir im Team jeden Morgen ein Daily machten. Da teilt jedes Teammitglied unter anderem mit, was seine Priorität am laufenden Tag ist. Für diese Aufgabe war der Mitarbeiter dann auch verantwortlich und ich konnte im Lauf des Tages prüfen, ob das tatsächlich bearbeitet oder erledigt wurde. Alleine diese kleine Maßnahme hat schon dazu geführt, dass die Ergebnisse sich zum Positiven entwickelten.
Man braucht eben Strukturen, die beiden Parteien Vertrauen in das System der Autonomie geben. Das kann wie hier die Vereinbarung einer konkreten Aufgabe für den Tag sein, es kann aber auch ein Zeitkorridor sein für die Verfügbarkeit, wann gearbeitet wird. Möglicherweise musst du bestimmte berufliche Ziele, Fähigkeiten oder Kompetenzen identifizieren, die du bei deinen Mitarbeitern stärken und fördern solltest. Das ermöglicht dann deinem Mitarbeiter perspektivisch eine noch größere Autonomie.
Aber nicht jeder schätzt oder wünscht überhaupt die gleichen Formen der Autonomie.
Nicht jede Rolle oder jedes Team kann alle verschiedenen Formen von Autonomie gebrauchen. Wenn du zum Beispiel Mitarbeiter in verschiedenen Zeitzonen hast, wäre es wahrscheinlich gut, wenn sich eine bestimmte Anzahl von Arbeitsstunden überschneiden. Das möchtest du nicht als Option anbieten – denn sonst geht man das Risiko ein, dass es eben keine gemeinsame Zeit gibt. Hier braucht es also eine Ansage. Bei solchen Ansagen solltest du dich allerdings auch immer mit der Personalabteilung abstimmen. Meiner Erfahrung nach sind die Arbeitnehmerrechte oder die gesetzlichen Bestimmungen in allen Ländern anders – das kann es auch mal verkomplizieren.
Du musst auch bedenken, wie sich die Autonomie auf das gesamte Team auswirkt.
Wenn Menschen regelmäßig remote arbeiten, wirkt sich das nicht nur darauf aus, wie sie mit dir als ihrem Vorgesetzten zusammenarbeiten. Es verändert auch die Art und Weise, wie sie mit all ihren Kollegen zusammenarbeiten. Vielleicht stellst du fest, dass du neue Tools, andere Software und unterschiedliche Hardware benötigst. Oder vielleicht musst du einige Regeln oder einen Leitfaden entwickeln, wie die Arbeit verteilt wird und welche Arbeit sich das Team selber aussuchen kann und welche Arbeit von dir zugewiesen wird, bevor du neue Ansätze in der Autonomie umsetzen möchtest.
Fang an, herauszufinden, was für jedes deiner Teammitglieder wichtig ist.
Finde alle Abhängigkeiten im Zusammenhang mit ihrer Rolle oder ihrer Verantwortung. Und denk auch an die Auswirkungen auf das gesamte Team oder sogar auf andere Kollegen, mit denen dein Team zusammenarbeitet. Sprich mit jedem Mitarbeiter einzeln und erst dann im gesamten Team. Vielleicht möchtest du über ihre aktuellen Erfahrungen mit der Arbeit sprechen und darüber, was sie sich in Bezug auf ihre Arbeit wünschen. Du kannst meinen Leitfaden verwenden, den ich erstellt habe, um dir bei diesen Gesprächen zu helfen.
Starte und kommuniziere deine ersten Schritt hin zur Autonomie als ein Experiment.
Ein Experiment, bei dem du dir anschaust, was funktioniert und was nicht. Versprich nichts, was du am Ende wieder zurücknehmen musst. Du kannst eine solche Situation vermeiden, wenn du dich im Voraus mit deinem Team darüber abstimmst, was erwartet wird und wie ihr zusammenarbeiten werdet, um die Autonomie zu vergrößern.
Wenn du also zu mehr Autonomie bereit bist, empfehle ich dir dringend, den oben erwähnten Leitfaden herunterzuladen.