Muss ich immer erreichbar sein?

Muss ich eigentlich als Führungskraft immer erreichbar sein? Ich denke nein. Neudeutsch heißt das ja „Open Doors Policy“. Diese Open Doors Policy hat vielleicht Sinn gemacht, als es all diese elektronischen Kommunikationsmittel und das Homeoffice noch nicht gab oder es noch in weiter Ferne war. Der eine oder andere kann sich das gar nicht mehr vorstellen. Führungskräfte waren früher entweder in einem eigenen Büro, die Tür war zu. Man wusste nie: Darf ich jetzt rein oder nicht? Oder es gab einen „Gatekeeper“, einen Personal Assistant oder eine Sekretärin vor der Tür, der/die den Zugang zum Chef bewachte.

Ich bin nicht technikfeindlich, aber …

Wer mich kennt, der weiß, ich bin ein Gadget-Freak. Ich mag und nutze auch neue Technologien und ich bin nicht gegen iMessage. Ich bin nicht gegen Slack. Das sind alles Tools, die ich tagtäglich nutze.

Nicht das Tool an sich ist das Problem, sondern die Art und Weise, wie man es nutzt. Durch die Hintertür wird versucht, mich als Führungskraft zu vereinnahmen. Plötzlich ist alles dringend. Ich muss sofort antworten. Wenn ich auf die Slack nicht sofort antworte, kommt eine Nachricht (ironischerweise über Whatsapp): „Hör mal, ich hab dich doch gerade angeslackt.“ Was bedeutet das? Jemand möchte Kontrolle über mich übernehmen. Er möchte, dass ich mich jetzt mit seinen Themen beschäftige. Er möchte mir vorschreiben, wann ich was tun muss. Das gefällt mir nicht.

Wenn jemand anders darüber entscheidet, was für mich jetzt dringend ist, wann ich erreichbar sein muss, werde ich schlichtweg verrückt. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn zehn Leute gleichzeitig kommen und sagen: „All das ist jetzt dringend, das ist jetzt der Fokus, den du aufbringen musst.“ Da prasselt einfach alles auf einen ein.

Du darfst nicht zulassen, dass du komplett fremdbestimmt wirst!!!

Die Message, die du als Führungskraft deinen Mitarbeitern senden möchtest, ist: „Meine Türe steht immer für dich offen. Ich werde immer Zeit für dich finden. Ich als Führungskraft werde Zeit für dich finden, wenn du sie benötigst.“

Das bedeutet aber auch: Nicht du wirst mir, nur weil ich eine offene Tür habe, sagen, wann ich was tun soll.

Das wäre auch nicht zielführend.

Wer dauernd unterbrochen wird, arbeitet ineffizient

Stell dir mal vor, drei Mitarbeiter würden in der alten Welt gleichzeitig was von dir wollen. Die stürmen also gleichzeitig durch die Tür rein, weil du ja eine Open Doors Policy hast, und fangen gleichzeitig an, mit dir zu reden.

Das ist Slack.

Und was bedeutet das in der Konsequenz? Wer sich dauernd unterbrechen lässt, arbeitet vollkommen ineffizient. Das wird dir jeder Entwickler bestätigen. Deswegen ist es in diesen Entwicklungsräumen, wo Entwickler sitzen, immer so ruhig. Das ist auch der Grund, warum die so selten zu Meetings erscheinen. Weil sie pro Tag mindestens drei, vier Stunden in Ruhe arbeiten können müssen.

Du hast es in der Hand

Das ist die gute Nachricht. Im Gegensatz zu deinen Mitarbeitern oder dem Sachbearbeiter oder wem auch immer hast du es in der Hand, dich gegen Unterbrechungen viel einfacher abzuschotten. Du musst nur wollen und einfach nicht mehr dauernd verfügbar und ansprechbar sein. Es reicht völlig aus, wenn man dir eine Nachricht hinterlassen kann, sei es nun per E-Mail, auf der Mailbox oder einem Assistenten.

Ich liebe E-Mails

Ich bin in den letzten Jahren wirklich ein großer Fan von E-Mails geworden.

Das klingt ein bisschen verrückt, zumal auch mir schon seit 20 Jahren gesagt wird, dass E-Mail tot ist, es käme was Neues, sei es Slack, WhatsApp, die Chatfunktion in Teams, das die E-Mail ablösen wird. (Das ist wie mit dem papierlosen Büro, was auch nicht so richtig geklappt hat. Zumindest in meinem Büro ist immer noch sehr viel Papier; Papier hat in meiner Wahrnehmung eher zu- als abgenommen.)

Wir tauschen uns also über alle möglichen Kanäle aus, über Handys und Slack und iMessage und so. E-Mail braucht kein Mensch mehr ist die weitverbreitete Ansicht. Das mag vielleicht richtig sein, hilft aber im Berufsalltag nicht unbedingt. Denn diese ständige Kommunikation, immer und überall in Echtzeit erreichbar zu sein über WhatsApp, Facebook, Messenger, Direct Messenger, Skype, Teams etc., ist mega anstrengend. Überall piepst und brummt es und du kannst keine zehn Minuten konzentriert arbeiten. 4 x 15 Minuten (weil ich ja dauernd unterbrochen werde) sind im Endeffekt eben keine ganze Stunde Arbeit, sondern vielleicht eine Viertelstunde, weil man immer wieder aus seinen Gedanken rausgerissen wird.

E-Mails sind ein super effizientes und unglaublich gutes Kommunikationsmittel und die Lösung für obengenanntes Problem. Man kann normalerweise davon ausgehen, dass eine E-Mail innerhalb von 24 Stunden gelesen und in wichtigen Fällen auch innerhalb dieser 24 Stunden beantwortet wird. Und wenn man mal ehrlich ist: Bei den meisten Dingen, die angefragt werden, geht es nicht um Leben und Tod. Es geht in den seltensten Fällen um eine Herztransplantation. Es gibt fast nichts, was nicht 24 Stunden oder auch länger warten kann.

Ich lasse meine Kollegen daher wissen:

„Mir ist am liebsten, wenn du mir eine E-Mail schickst. Du kannst erwarten, dass ich sie innerhalb von 24 Stunden lese und dann auch beantworte. Wenn es schneller gehen soll, dann kannst du mir durchaus auch mal eine WhatsApp oder eine Slack schicken. Dann werde ich mich bemühen, je nachdem, wie viel ich gerade zu tun habe, die am selben Tag noch zu beantworten. Das bedeutet aber nicht, wenn du mir um 18:00 Uhr eine Slack schreibst, dass ich dir dann um 18:10 antworte. Sondern wenn ich das morgens bekomme, werde ich es abends beantworten. Und wenn es wirklich wichtig ist, dann ruf mich an. Ruf mich an, dann kann ich immer noch entscheiden, ob ich in ein Meeting gehe, ob ich drangehe. Ich sehe deine Nummer. Ich weiß ja, wer du bist. Aber nicht mit Larifari anrufen, sonst werde ich ungemütlich: War dieser Anruf jetzt notwendig? Musstest du mich hier rausholen?“

Das ist ein Lernprozess, den du selbst, aber auch deine Mitarbeiter durchgehen müssen. Sie müssen verstehen: Wie funktionierst du? Wie möchtest du gerne kommunizieren? Wie viel Information brauchst du?

Das KAIROS Profil

Es geht um Entscheidungen. Hier empfehle ich immer sehr gerne das KAIROS Profil, was ich schon seit zehn Jahren einsetze. Da kriegst du einen Überblick, wie du am liebsten entscheidest.

Und dann gibt’s noch die letzte Möglichkeit, wenn es nicht per E-Mail und auch nicht per WhatsApp geht und auch ein Anruf nicht reicht. Dann kann man das im One-to-One machen oder muss eventuell einen gesonderten Termin vereinbaren.

Ein Hinweis noch: Sehr oft nutzt man ja die Pausen, vielleicht das gemeinsame Mittagessen, um solche Dinge zu besprechen. Das kann man machen, sollte man aber nicht. Es geht nicht darum, dass man beim Mittagessen nicht geschäftliche Dinge besprechen kann. Aber wenn es um wichtige Entscheidungen geht, wenn es um einen wertvollen Austausch geht, dann ist es nicht angemessen, das in einer vielleicht lauten Umgebung außerhalb des Büros oder außerhalb einer „geschützten“ Umgebung in einem Restaurant oder in einem Café zu machen. Die Geräuschkulisse ist zu laut, der Smalltalk der anderen lenkt einen leicht ab. Das ist kein geeigneter Ort.

Wir lassen uns gerne unterbrechen

Das trifft vielleicht nicht auf alle zu, aber wir machen ja auch als Führungskräfte manchmal Arbeiten, die uns nicht besonders viel Spaß machen. Budgetplanung, irgendwelche Aufstellungen für den Chef … Wenn ich dann unterbrochen werde, es macht „ping“ auf meinem Rechner oder mein Handy brummt, dann kommt mir diese Ablenkung sehr gelegen. Sie ist aber nicht besonders hilfreich, denn ich muss die Arbeit ja trotzdem erledigen. Und jedes Mal, wenn ich wieder dem Bedürfnis, abgelenkt zu werden, nachkomme, dauert es noch länger. Keine gute Idee.

Bestes Beispiel sind die Push-Nachrichten. Wann immer man auf irgendeiner Website irgendeine App hat, kommt: „Darf die App dir Nachrichten schicken?“ Nein, nein, nein, nein, nein, bloß nicht!!! Keine Nachrichten schicken!!! Das hat etwas mit Selbstdisziplin zu tun.

„Darf ich mal stören …?!“

Allein der Satz ist schon zu viel, weil ich ja dann schon gestört worden bin.

Besser ist: Geh auf deine Mitarbeiter zu, geh zu ihnen hin. Ich verbringe (zumindest als wir noch täglich ins Büro gegangen sind) jeden Tag so eine gute Stunde, um durch die Büros zu marschieren und mit dem einen oder anderen Mitarbeiter zu sprechen. Mein Ziel ist es, in einer Firma bis 200 Mitarbeitern mit jedem Mitarbeiter einmal im Monat gesprochen zu haben. Bei diesen Gesprächen lassen Mitarbeiter natürlich auch mal die eine oder andere Sache fallen, die ich aufnehmen kann, oder wir besprechen etwas. Wenn man dann weiterführende Informationen geben muss, dann kann man immer noch sagen: „Super, schick mir ne E-Mail. Lass uns darüber mal gesondert sprechen. In diesem Sinne wünsche ich dir einen möglichst störungsfreien, intensiven, effizienten Arbeitstag!“

Meine Empfehlung

Natürlich steht deine Bürotür immer offen. Du musst schließlich wissen, was vor sich geht. Aber du entscheidest, wie weit man in die Tür reinkommt und ob du dem dann zuhörst. Du entscheidest übrigens auch, ob jemand in dein leeres Büro kommen darf, wenn du nicht da bist, und dir einen Bericht auf deinen Schreibtisch legen darf, den du nach deiner Rückkehr lesen sollst.

Ansonsten gilt: Nicht ans Telefon gehen, keine E-Mails bearbeiten, nicht auf Slack eingehen, kein WhatsApp machen, wenn du ungestört arbeiten willst, sondern versuche das zu kanalisieren. Ich persönlich bearbeite meine Nachrichten am liebsten morgens. Dann ist der Druck von meinen Schultern weg. Ich gehe durch alle E-Mails des gestrigen Tages, beantworte die, die sofort beantwortet werden müssen, verschiebe die anderen auf den Abend und das war‘s. So hab ich den ganzen Tag über Ruhe. Meine Mitarbeiter, meine Kollegen wissen das und alle können effizient arbeiten.

Und wenn es wirklich wichtig ist, dann ist anrufen und darüber sprechen immer noch das Beste. Aber es sollte wirklich wichtig sein. Du musst also nicht immer erreichbar sein.

Diesen Artikel „Warum du nicht immer ansprechbar sein darfst“ kannst du hier als Podcast hören.

Hier schreibt Kai Boyd
Mit jahrzehntelanger Erfahrung in Führungspositionen, darunter bei PricewaterhouseCoopers und Deutsche Telekom, Telefonica, deal united, Twilio und weg.de, hilft Kai Boyd Unternehmern und Einzelkämpfern, ihre Führungsfähigkeiten zu verbessern. Der Münchner und begeisterte Jogger bringt Expertise aus Konzernen, dem Mittelstand und Start-ups ein.

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